Käseglocke

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Pro stationäre Therapie

Die Genesung von Suchterkrankungen und der Ausstieg aus einer Sucht ist auf vielerlei Wegen möglich. Manche Betroffene schaffen es ganz ohne medizinische oder psychologische Hilfe, vielen hilft der Besuch einer Suchtselbsthilfegruppe, andere nutzen ambulante Hilfsangebote wie Tageskliniken oder Suchtberatungen und auch eine stationäre Langzeittherapie ist eine Option, um seiner Sucht, den Kampf anzusagen. (Eine Kombination dieser Hilfsangebote ist natürlich ebenfalls möglich.)

Vor einer stationären Therapie ihrer Suchterkrankung, die von 6-15 Wochen (im Einzelfall auch länger) dauern kann, schrecken Betroffene oft zunächst zurück. Als wäre erst der Aufenthalt in einer Suchtklinik der „Beweis“ ein „richtiges“ Suchtproblem zu haben. Und die zunächst lange klingende Behandlungsdauer – eben LANGZEIT-Therapie – ist für einen Süchtigen, der es krankheitsbedingt gewohnt ist von Tag zu Tag zu leben (und stets „MORGEN“ aufzuhören), ein mitunter unvorstellbar langer Zeitraum.

Ich möchte hier Mut machen, sich selbst und seiner Genesung ausreichend Zeit und Raum zu geben. Das kann durchaus auch in ambulanten Settings oder Tageskliniken erfolgreich der Fall sein. Für mich stand jedoch von Anfang an fest, wenn ich was gegen meine Alkoholsucht mache und das Problem nachhaltig lösen möchte, dann kommt für MICH nur eine stationäre Langzeittherapie in einer Suchtklinik in Frage. Ein Schritt, der auch mir zunächst viel Mut und Überwindung abverlangt hat und nicht immer einfach war.

Langzeittherapie: der Reset-Knopf für mich und meine Genesung

Doch die 15 Wochen in der Wiehengebirgsklinik Bad Essen haben sich mehr als gelohnt und wurden zu einer der wichtigsten Phasen in meinem Leben und die Weichenstellung für mein neues suchtfreies Leben.

Ich brauchte im wahrsten Sinne einen Reset. Raus aus meinem Suchtalltag und gewohnter Umgebung, deren Abläufe sich in einer Abwärtsspirale nur noch um den Alkohol bzw. dessen Folgen drehten. Die Überwindung mit Suchtberater:innen und Ärzt:innen über meine Sucht, die Depression und meine Verzweiflung zu reden war anfangs auch deshalb so groß, weil meine Sucht natürlich gewittert hat, dass es ihr nun an den Kragen gehen könnte, sobald ich nur die passenden Werkzeuge und Unterstützung dafür bekäme.

Und mein letztes bisschen Lebenswille hat tatsächlich ausgereicht, die Kurve zu kriegen, in den Entzug zu gehen und eine stationäre Entwöhnungsbehandlung anzuschließen. Also egal, wie dunkel und aussichtslos deine Suchterkrankung dein Leben färbt, ein Funke Hoffnung und Lebenswille kann ausreichen, dein Leben zu wenden. Sofern du ihn nicht verglühen lässt, sondern ihn weiter nährst und schützt.

Reset, Update & Neustart

Die Entgiftung in medizinischer Obhut ist unerlässlich, um die Lebensgefahr eines kalten Entzuges zu vermeiden. Doch zu glauben, dass die ca. 10 Tage Standard-Entzug ausreichen würden, die oftmals über Jahre und Jahrzehnte fest eingefahrene Trink- und Konsumgewohnheiten wegzuzaubern, ist utopisch. Eine Erfahrung, die viele Angehörige bereits leidvoll kennen.

Eine Sucht zu bewältigen ist mehr, als die Substanz aus dem Leben zu verbannen.

Der Alkohol hatte auch für mich klare Funktionen:

Und das ist ja eben das Tückische: Alkohol und Drogen suggerieren einen „einfachen“ Ausweg aus unangenehmen (Gefühls-)Zuständen und die Steigerung positiver Gefühle. Bis ich erkannte, dass ich suchtkrank war und wie tief sich der Alkohol in mein ganzes Leben gefressen hat, dauerte es Jahre. Jahre, in denen meine Fähigkeit, aus EIGENER Kraft unangenehme Empfindungen auszuhalten & zu bewältigen, sowie selbstwirksam mein Leben zu gestalten und gut für mich zu sorgen, verkümmerte. Ich hatte ja den Alkohol, der das vermeintlich für mich übernahm..

Diese Kraft, die auch DU in dir hast, braucht regelmäßiges Training, damit sie nicht verkümmert. Wie einen Muskel kannst du auch deine Resilienz, deine Selbstwirksamkeit und Unabhängigkeit trainieren und fördern. Festgefahrene alte Muster und Gewohnheiten neu zu lernen, braucht Geduld.

Herr, gib mir Geduld - SOFORT!

Geduld ist – gerade in der Anfangsphase des neuen abstinenten Lebens – nicht gerade eine Stärke von Menschen mit Suchterkrankung. Schließlich waren wir es ja gewohnt, dass eine Substanz SOFORT unangenehme Gefühle beseitigt, statt uns mit Sport, Entspannung etc. selbst wieder zu regulieren und in Balance zu bringen.

Auch dies ist ein Vorteil einer stationären Suchtbehandlung: während diese Wochen und Monate erhalte ich Raum für mich und meine Genesung. Ich darf einfach SEIN so wie ich BIN und das in einer geschützten Umgebung, die auch gerne „Käseglocke“ genannt wird. Dort bin ich unter Gleichgesinnten und kann offen über Sucht reden und erfahren, dass ich nicht alleine bin. Und wenn meine Gefühle doch mal über mich hereinbrechen und ich nicht weiter weiß, habe ich in stationären Settings jederzeit die Möglichkeit mit Pflegepersonal, Ärzt:innen oder Therapeut:innen zu reden und Hilfe zu erfahren. Und auch die Nähe zu Sozialarbeiter:innen, Schuldnerberatung und weiteren Lebenshilfen ist schnell hergestellt.

Therapie mit Kind und Kegel

Stationäre Therapie? Nicht ohne meinen Hund oder mein Kind! Übrigens: immer mehr Suchtkliniken wissen, dass die Bereitschaft zu einer stationären Therapie steigt, wenn die persönlichen Lebensumstände der Patient:innen berücksichtigt werden. Es gibt also durchaus die Möglichkeit, dein(e) Kind(er) oder auch Hunde mitzunehmen, wenn du keine andere Betreuungsmöglichkeit hast. Dies ist von Klinik zu Klinik unterschiedlich geregelt. Sprich diesen Punkt also gerne bei deiner Suchtberatung oder Hausarzt an.

Der beste Zeitpunkt? JETZT!

Die Genesung von einer Sucht ist eine tiefgreifende Entscheidung mit Auswirkungen auf das gesamte Leben. Behandlungstermine, Therapie(n), Veränderungen im Freundeskreis, der Familie oder im Arbeitsleben.. Das braucht Zeit und Energie und kann Karrierepläne oder private Vorhaben etc. erstmal verzögern oder umschmeißen. Aber so ist das Leben nunmal: es findet statt, während du andere Pläne machst.. Der „richtige“ Zeitpunkt für eine (Langzeit-)Therapie ist somit zugleich nie und doch immer JETZT!

JETZT ist der Zeitpunkt, dich für dich selbst und dein Leben zu entscheiden. Egal, welche Therapieform du dafür wählst.