Kontrollverlust bei Alkohol erkennen
Als eines der wichtigsten Diagnosekriterien einer Suchterkrankung bzw. Abhängigkeitsstörung gilt der Kontrollverlust. Doch was ist das eigentlich und wo fängt bereits verminderte Kontrollfähigkeit an?
Wie sich bei einem suchtkranken Menschen konkret der eigene Kontrollverlust zeigt, kann individuell unterschiedlich sein. Es ist auch durchaus möglich, dass ein/e Alkoholiker/in durchaus in einigen Bereichen des Trinkverhaltens (noch) Kontrollvermögen besitzt (z.B. Trinkpausen einlegen kann). Doch erkennst einige der unten genannten Beispiele für Kontrollverlust bei Alkoholkonsum wieder, hole dir bitte Unterstützung von (Sucht-)Medizinern oder -Therapeuten.
Kein Kontrollverlust ohne Kontrollversuche
Klingt banal, doch einen Kontrollverlust kann nur jemand erleben, der sich bzw. seinen Konsum auch kontrollieren will. Oft merkt ein abhängiger Mensch erst dann, dass er die Kontrolle verloren hat, wenn er sich seinem Suchtmittel entziehen will. Solch vergebliche Kontrollversuche zeigen sich oft in „Trinkregeln“ und Kontrollsystemen, die die mangelnde Selbstkontrolle durch Verhaltensregeln als Hilfsmittel ausgleichen sollen. Beispiele für solche Trinksysteme findest du weiter unten.
Anzeichen für Kontrollverlust
Verlust oder Verminderung der Selbstkontrolle in Bezug auf…
- Beginn und Ende des Alkoholkonsums.
- die Trinkmenge (es wird so viel getrunken, wie verfügbar ist oder bis Schlaf (oder gar Bewusstlosigkeit) eintritt.
- das eigene Verhalten und Grundsätze, die sonst als wichtig erachtet werden. (z.B. Fahren unter Alkoholeinfluss, gewalttätiges Verhalten, kriminelle Handlungen, Leichtsinnigkeiten, etc.)
- kognitive Fähigkeiten / Orientierung / Gedächtnis (z.B. Blackouts, "Filmriss")
- Körperfunktionen (von Lallen, über Gangunsicherheiten und Stürzen bis ungewolltes Einnässen, Erbrechen, etc.)
- Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungsschwankungen durch Alkoholkonsum.
Abstürze und Blackouts nicht herunterspielen!
„Ohne Absturz war´s keine richtige Party“, „Halbbetrunken ist herausgeschmissenes Geld“, „Wer sich noch dran erinnern kann, war nicht dabei“ diese und ähnliche Sätze, die den Rausch verherrlichen und die Risiken des Trinkens herabspielen, sind so verbreitet wie gefährlich. Schließlich sendet der Körper durch Kater, Erinnerungslücken, Übelkeit/Erbrechen, Entzugssymptome und ähnliches, klare Signale, dass die Grenzen des Alkoholgenusses längst deutlich überschritten sind.
Solche Signale und Warnzeichen herunterzuspielen, durch Tabletten zu mildern oder einfach zu ignorieren, erhöht die Gefahr, in eine Abhängigkeit zu rutschen. Als ein weiteres Suchtkriterium gilt nicht umsonst der „anhaltende Konsum trotz nachweisbarer schädlicher gesundheitlicher oder sozialer Folgen“.
Aus Selbstkontrolle wird Trinksystem
Es ist ein menschliches Bedürfnis, sich handlungsfähig zu fühlen und eine gewisse Kontrolle über das eigene Leben und die eigenen Handlungen zu haben. Merke ich, dass meine innere Kontrollfähigkeit schwindet, sich Trink-„Gewohnheiten“ einstellen und ich mehr / öfters Alkohol konsumiere, als ich eigentlich möchte, liegt es nahe, mir Regeln aufzustellen.
Solche Trinksysteme und -Regeln klingen nach Kontrolle und sind doch zugleich ein Eingeständnis, dass mit dem eigenen Konsumverhalten längst etwas „außer Kontrolle geraten“ ist.
Beispiele für Trinkregeln und -systeme:
- Nicht vor einer bestimmten Uhrzeit trinken (z.B. "Kein Bier vor Vier")
- Nur am Wochenende / an bestimmten Tagen trinken.
- Nur in Gesellschaft / nicht alleine trinken.
- Nicht auf der Arbeit / Nur in der Freizeit Alkohol konsumieren.
- Nur eine gewisse Menge trinken (z.B. 1 "Feierabend-Bier")
- Keine "harten" Sachen trinken ("Nur" Bier, kein Schnaps)
- Qualitätsausrede: nur "GUTER" Wein, statt billiger Fusel
- Anlass-Ausrede: Ein Gläschen in "Ehren", nur zu "besonderen" Anlässen
- Gesundheits-Ausrede: Ein Glas Sekt "für den Kreislauf", Rotwein "fürs Herz", Stärkungsmittel (z.B. Klosterfrau Melissengeist) seien ja quasi Medizin und kein Alkoholproblem.
- Trinkpausen einlegen ("Wenn ich ein paar Tage/Wochen ganz ohne Alkohol schaffe, habe ich kein Alkoholproblem")
- u.v.m.
Kennst du solche oder ähnliche Regeln aus deinem Umgang mit Alkohol oder Suchtmitteln? Dann ist Wachsamkeit angebracht und ein Gespräch mit einem Suchtmediziner ratsam.
Kein Trinksystem ohne Ausnahmen - keine Regel ohne Ausrede
Solche Trinkregeln können von suchtgefährdeten Menschen anfangs durchaus eine Weile eingehalten werden, doch schreitet die Sucht fort, kommen früher oder später die typischen Alkohol-Ausreden.
Statt „nur am Wochenende“ zu trinken, wird der Freitag ebenfalls als Wochenende deklariert (und der Montag gleich mit). Als „Gesellschaft“ reichen statt guter Freunde irgendwann x-beliebige Fremde, die neben dir an der Theke trinken. Und als „guter Wein“ gilt alles, was nicht in einem Tetrapack verkauft wird… Süchtiges Denken dehnt sich aus wie ein Krebsgeschwür.
Spätestens wenn du solche Rechtfertigungen für das Brechen der eigenen Vorsätze erkennst, wird es Zeit, sich den eigenen Kontrollverlust einzugestehen. Je früher, desto besser. Denn die Phase der Ausreden, fadenscheinigen Entschuldigungen und Ausflüchte dauert sonst oft Jahre. Jahre, in denen eine Sucht mein Leben bestimmte und in denen ich mir selbst eine Kontrolle vormachte, die ich längst nicht mehr besaß – und im Umgang mit Alkohol auch nie wieder haben werde.
Ich bin inzwischen trockene Alkoholikerin und froh aus dem Teufelskreis aus Kontrollverlust, Selbstbetrug und Sucht ausgestiegen zu sein. Du kannst das auch. Es lohnt sich.
Suchst du Hilfe bei der Bewältigung deiner Sucht? Die Caritas bietet anonyme und kostenlose Online-Suchtberatung.