Kurzgeschichte Lebenspuzzle

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Mein Lebenspuzzle

Eine fast wahre Geschichte über den Beginn suchtfreien Lebens...

Ich verließ das Klinikgelände und ging hinüber zum Spielwarengeschäft. Der kleine, unscheinbare Laden war von Weitem kaum als solcher zu erkennen. Recht altmodisch wirkte sowohl das Schaufenster als auch das Inventar. Mich zog es trotzdem wie magisch dorthin. Im Schaufenster versprach eine Werbetafel „Ihr persönliches Lebenspuzzle – nur hier!“ und das für einen unschlagbar günstigen Preis. Mein Aufenthalt in der Klinik sollte noch mehrere Wochen andauern und gegen die Langeweile zwischen Therapieeinheiten und Spaziergängen brauchte ich dringend Abhilfe.

Der Verkäufer war ein sympathischer Senior mit weißem Bart, Augen voller Lebenserfahrung und kleiner Brille. „Sie kommen wegen des Puzzles“, stellte er wie selbstverständlich fest. Ich blickte mich irritiert um, nickte dann jedoch zustimmend. „Ich weiß, ich weiß, steht ja hier auf diesem Zettel, Frau K.“ Nun war ich wirklich verblüfft! Woher kannte dieser fremde Herr meinen Namen? Ich bin ihm noch nie begegnet! Mein Wohnort ist gut 100km entfernt, ich bin nur aufgrund der Entwöhnungsbehandlung hier in diesem Dorf. Von meinem fragenden Blick ließ sich der Spielwarenhändler nicht unterbrechen.

„Wissen Sie, das Lebenspuzzle ist ein Unikat und nur für Sie alleine gemacht. Das fertige Bild ist eine wahre Pracht, Sie werden staunen! Für Sie ist das Motiv „Suchtfreies Leben – personal edition“ vorgesehen. Ui, eins der kniffligeren Motive. Aber keine Sorge, wenn Sie Geduld haben und stets dranbleiben, kriegen Sie das ganz sicher hin!“ „Wunderbar, das nehm ich!“, stimmte ich ihm begeistert zu. In mir wuchs das unbändige Verlangen, dieses Puzzle zu vollenden – komme, was da wolle. Ist ja nur ein Puzzle, wäre doch gelacht.“

Anleitung? Fehlanzeige.

Der Verkäufer räusperte sich, bevor er fortfuhr: „Frau K., es gab allerdings ein kleines Missgeschick, daher der günstige Preis.“ Die Anleitung, wie viele Teile Ihr Puzzle genau enthält, ist nicht mehr aufzufinden. Es können 50 oder 5000 Puzzleteile sein – das lässt sich nicht mehr beantworten.“ „Na gut, macht nichts. Ich nehm´s trotzdem.“ Ich war mir sicher, ich muss einfach dieses Puzzle – mein Lebenspuzzle – zusammensetzen. „Das freut mich zu hören! Da ist allerdings noch etwas.. Neulich sind unsere Regale im Lager zusammengebrochen. Alle vorrätigen Lebenspuzzle sind dabei durcheinander geraten und nun vermischt. Es tut mir sehr Leid, Sie werden sich Ihre Teile selbst heraussuchen müssen. Das ist ja der Kern des Lebenspuzzle-Konzepts: Nur der Besitzer selbst kann seine Lebenselemente und Puzzleteile erkennen.“ Ich hörte dem liebenswerten alten Mann nur mit einem Ohr zu, während ich bezahlte. Ich konnte nur noch an das Puzzle denken. MEIN Puzzle. Ich war so neugierig, was wohl darauf zu sehen sein wird.

„Folgen Sie mir bitte.“, sprach der Verkäufer, zeigte mir das Lager und verschwand sogleich. Ach du liebe Güte!, dachte ich, als ich den riesigen Puzzleberg erblickte. Welch ein Durcheinander… das müssen unzählige Lebenspuzzles sein, wie soll ich darin je meines finden?? Puh… ratlos blickte ich auf die tausenden Einzelteile. Was davon ist für mich bestimmt?

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Ich begann, jedes einzelne Teilchen anzusehen. Prüfte es, ob es zu mir passt, ob es mir gefiel, ob es mir weiterhilft oder nur mein Lebenspuzzle verbaut. Manche Puzzelteile waren langweilig, andere spannend, einige erklärten so viel und machten Vergangenes verständlicher, andere schienen freudige Verheißungen aus der Zukunft zu sein und strotzten nur so vor Motivationskraft. Ich entdeckte viel Neues und einiges Vertraute.

Ich puzzelte dunkle, unansehnliche Ecken und viele heitere, bunte Flecken. Stückchen für Stückchen vervollständigte sich mein (Lebens-)Bild. Ja, ich puzzle nun schon seit vielen Jahren an meinem suchtfreien Leben und bin dennoch noch lange nicht fertig. Ich entdecke an jedem Tag noch so viel neues und bereicherndes. Mit jedem Puzzlestück wird mein Bild vollständiger und für mich wertvoller. Manchmal bin ich ganz erstaunt, wo ich überall fehlende Puzzleteile finde: an den unterschiedlichsten Orten, in der Begegnung mit anderen Menschen, in der Stille und sogar im größten Stress. Ich muss nur achtsam hinschauen!

Der Spielwarenverkäufer ist längst tot. Sein Vermächtnis führe ich fort: Schau an, hier liegt ein kleiner Zettel mit deinem Namen. Motiv „Suchtfreies Leben – personal edition“. Hui, das wird ´ne Arbeit, kann ich dir sagen! Aber wenn du erst einmal angefangen bist, wirst du immer zum nächsten Puzzlestück finden – oder das Puzzleteil findet dich. Hab nur Geduld und bleib dran!

Es lohnt sich.

Autorin: Verena Krotoszynski

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